Breema-Körperarbeit: Achtsamkeit und Präsenz in der Berührung

Der Mensch 47 2-2013 February 5, 2015
Salena Irion practices a Self-Breema exercise

Wir möchten Sie zu Beginn des Artikels zu einer kurzen Übung einladen. Setzen Sie sich dafür aufrecht und in einer bequemen Haltung hin und legen Sie Ihre Hände auf ihre Oberschenkel. Ihre Ellbogen sind entspannt. Nehmen Sie ihren Atem wahr und auch ihr Gewicht, wie es vom Boden und vom Stuhl getragen wird. Dann streichen Sie mit Ihrer rechten Hand und ganzer Beteiligung dreimal sanft und zugleich bestimmt von ihrer linken Schulter über ihren Oberarm, Unterarm, ihre Hand und über die Finger aus. Wiederholen Sie das Streichen nun mit der linken Hand auf der anderen Körperseite und spüren Sie anschließend die Wirkung der Übung.

Schlusselwörter: Breema, Körperarbeit, Achtsamkeit, Präsenz, Berührung

Ich habe den Eindruck, dass ein Strom von Berührungen und Bewegungen über mich fließt, durch mich fließt. Ich wundere mich, dass sich Hände wie Wasser anfühlen können. Als seine Hände auf meinem Bauch, dem Zentrum meines Körpers, zur Ruhe kommen, fühle ich plötzlich meinen Pulsschlag. Überall haben sich Energie und Wärme ausgebreitet.  (eine Teilnehmerin)

Was hat dies mit Breema Körperarbeit zu tun?

Es ist zunächst die Einfachheit. Breema Übungen sind eine Einladung, aus unserer verstandesmäßigen Wahrnehmung der Welt, aus dem Benennen, Vergleichen und Beurteilen, in das Empfinden unseres leiblichen Hier-Seins zu kommen. Der Verstand bekommt bei den Übungen die Aufgabe, einfach zu registrieren wie der eigene Körper atmet, wie sich sein Gewicht anfühlt, seine Haltung, seine Bewegung. Dadurch wird das »Denken in das leibliche Geschehen eingebunden und verstärkt das Gegenwartserleben meines So-Seins. Diese Fähigkeit der (Selbst-) Distanzierung im Sinne einer Dis-Identifikation von Gedanken, Vorstellungen und Konzepten, schafft Freiheit und Offenheit für mich selbst als leibliches Wesen. Ich bin eben mehr als meine Gedanken und Konzepte« [Angermayr 2009, S. 102]. Auch wenn die angestrebte Ausrichtung des Verstandes immer wieder unterbrochen sein wird, sei es durch Abdriften, durch Einwände, durch Beurteilungen, so kann ich dies einfach registrieren, kann innehalten und wieder zu Wahrnehmung meines Atems und meines Gewichts kommen – und dann mit meiner ganzen Beteiligung und ohne Eile mit der Übung fortfahren.

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Laura Rawson giving Breema bodywork at the Breema Center in Oakland CA

Die Breema-Körperarbeit besteht aus vielzähligen Einzel- und Partnerübungen, die den Übenden die Sicherheit einer klaren Form geben. Die Übungen umfassen Elemente wie Strecken, Lehnen, Streichen, Halten, sowie spielerische, rhythmische Bewegungen, die mit dem ganzen Körper und ohne Kraftanstrengung ausgeführt werden. Das Praktizieren von Breema erfolgt in bequemer Kleidung auf einer weichen Unterlage im Liegen, Sitzen oder Stehen. Bei allen Übungen ist die Qualität der Berührung von entscheidender Bedeutung. Eine Berührung, die von ihrer Qualität sanft und zugleich bestimmt ist, die kein (therapeutisches) Ziel verfolgt, die nichts bewirken, erreichen oder für den andern tun will. Eine Berührung, die akzeptierend mit dem ist, was unmittelbar erfahren wird. In einer solchen erwartungsfreien Begegnung wird eine wohltuende Würdigung füreinander erfahren.

Sowie ich mich mit dem Gewicht und Atem meines Körpers verbinde, erlebe ich meine Präsenz. Dadurch habe ich die Möglichkeit, zu akzeptieren, was ich sehe. Dies überträgt sich ebenfalls auf meinen Übungspartner. (...) Geben und Empfangen finden gleichzeitig statt. Dieses Ziel, mich in meiner eigenen Präsenz zu erleben während ich im Austausch mit dem anderen bin, ist eine reiche Quelle der Erfahrung.« [Gray 2007]

Bei den Partnerübungen, die überwiegend zu zweit durchgeführt werden, gibt es im Wechsel immer einen aktiven Gebenden und einen Bewegten bzw. Berührten. Für den Gebenden ist der empfangende Partner eine Unterstützung für die eigene Präsenz. Die Tatsache, dass Du hier bist reicht vollkommen aus, um mich an Dir zu erfahren – in jedem Moment und an jedem Punkt der Berührung. Diese Betonung auf den Praktizierenden schafft Raum für wirkliche Begegnung. Im präsenten Kontakt löst sich die Unterscheidung zwischen Gebenden und Empfangenden auf, es entsteht eine Atmosphäre von Einfachheit, so als würden wir zusammen auf den kleinsten, doch allumfassendsten, gemeinsamen Nenner kommen: Dass uns Leben verliehen ist! Aus ›Körper berührt Körper‹ wird ›Leben berührt Leben‹. Die Begegnung wird zu einem Spiel des Lebens, zu einem Tanz, der unserem innersten Quell, unserer essentiellen Verbundenheit, entspringt. Wir überlassen es der ›Weisheit des Körpers‹, sich aus der Begegnung das zu nehmen, was er benötigt.

Vom Tage unserer Geburt an auf dieser Erde, gibt es in uns Menschen das tiefe Grundbedürfnis nach einem selbstverständlichen und fraglosen Angenommen- und Geliebt-Sein. In der Liebe, die wir ursprünglich in diese Welt mitbringen, gibt es noch keine Beurteilung, Beschreibung oder Benennung. Darin gibt es kein ›Ich liebe Dich WIE Du bist‹, sondern vielmehr ein: ›Ich liebe Dich, WEIL Du bist. Diese Erfahrung durfte ich in meiner ersten Begegnung mit der BreemaKörperarbeit machen. Mein Hiersein in diesem Körper war ausreichend für das Wiedererleben von Selbstverständnis und Gehalten-Sein. (Pari Schneider).

Zur Unterstützung der eigenen Präsenz dienen dem Breema- Praktizierenden folgende neun kurz formulierte Haltungen [›Prinzipien‹; Schreiber & Berezonsky 2003; Schreiber 2008], auf die im vorausgegangenen Text bereits immer kursiv Bezug genommen wurde:

  • Der Körper ist bequem (Wirkliches Bequem-Sein kommt aus einer inneren Haltung, die in Harmonie mit unserer zeitlosen Natur steht).

  • Nichts extra (Um unser wahres Wesen, unser Sein, auszudrücken, ist nichts Zusätzliches notwendig).

  • Bestimmtheit und Sanftheit (Echte Bestimmtheit ist immer sanft, echte Sanftheit ist immer bestimmt. Wenn wir präsent sind, manifestieren wir auf natürliche Weise gleichzeitig Bestimmtheit und Sanftheit).

  • Ganze Beteiligung (Die natürlichste Art sich zu bewegen und zu leben, ist mit voller Beteiligung. Ganze Beteiligung ist möglich, wenn Körper, Verstand und Gefühle sich in einer gemeinsamen Aktivität vereinen).

  • Gegenseitige Unterstützung (Je mehr sich unser Wesen, unser Sein, beteiligt, desto mehr sind wir fähig, das Leben zu unterstützen und zu erkennen, dass das Dasein uns unterstützt. Unterstützung geben und erhalten geschieht gleichzeitig).

  • Keine Beurteilung (In der Atmosphäre von ›keine Beurteilung‹ können wir uns selbst so akzeptieren, wie wir im Augenblick sind. Wenn wir in die Gegenwart kommen, sind wir frei von Beurteilung).

  • Einziger Moment – Einzige Aktivität (Jeder Augenblick ist neu, frisch, ganz lebendig. Jeder Augenblick ist ein Ausdruck unserer wahren Natur, in sich vollendet).

  • Keine Eile – Keine Unterbrechung (Im natürlichen Rhythmus der Lebensenergie gibt es keine Eile und keine Unterbrechung).

  • Keine Kraftanstrengung (Wenn wir das Konzept vom Getrennt- Sein loslassen, lassen wir auch Anstrengung los).

Diese neun Haltungen bzw. Prinzipien sind wie neun Pforten, die zum Präsent-Sein führen. Ihre Ausrichtung weist von der Vielfalt zur Einheit und von der Komplexität zur Einfachheit. Die Prinzipien sind nicht nur im Breema-Austausch, sondern auch in allen anderen Aktivitäten im Leben anwendbar und unterstützend. Sie werden so zu einer großen Ressource der Selbstfürsorge im Alltag.

Die Breema-Körperarbeit richtet sich an Menschen aller Altersgruppen und wird neben Einzelsitzungen in freien und zielgruppenspezifischen Kursen angeboten, z.B. zur Psychohygiene und Burnout-Prophylaxe bei Krankenpflegern, Lehrern, Psychotherapeuten oder auch flankierend zu psychotherapeutischen Interventionen [Fink 2009; Michaelis & Bachmann 2010; Reddemann 2003, 2012].

Abschließend noch eine kurze Geschichte: Ein kleiner Junge ging mit dem Großvater für einige Tage Ziegen hüten. Zu ihrer Verpflegung nahmen sie Wasser mit, Mehl, Butter, Eier, Honig und so weiter. Abends machte der alte Mann ein Feuer und auf einem Stein seinen Fladen, den er mit Butter und Honig bestrich. Zu seinem Enkel sagte er: »Siehst du, das ist das Mehl, das aus dem Getreide gemacht wird, wofür wir täglich arbeiten. Hier sind die Butter von den Kühen und der Honig von den Bienen, und jetzt streue ich noch ein bisschen Salz auf den Fladen. Das kommt von weit her, es ist sehr wertvoll.« Dann rollte er den Fladen zusammen, aß ihn und fragte den Kleinen: »Na, wie hat es dir geschmeckt?« Der antwortete: »Wieso? Du hast mir doch davon überhaupt nichts abgegeben!«. Worauf der Großvater meinte: »Aber ich habe dir doch alles Wichtige darüber erzählt.« – So ist es letztlich auch mit diesem Artikel. Den Geschmack des Lebens, an den uns Breema erinnern kann, erfahren wir erst, wenn wir das Leben selbst schmecken und nicht nur denken.

*Breema-Körperarbeit: Achtsamkeit und Präsenz in der Berührung von Pari Schneider & Klaus Pfeiffer

Literatur:

Angermayr M. (2009). Dasein-Atmen-Achtsamkeit Existenzanalyse und vorreflexives leibliches Erleben. Existenzanalyse 2009; 26(2):99–104.

Fink M. G. (2009): Breema in der Gesundheits-Pflege. Pflegenetz 2009; 1: 28–29. Gray C. (2007): Breema: A New Relationship with Myself. Awareness Magazine

2007; May/June. [Übersetzung aus dem Englischen durch den Verfasser] Michaelis D., Bachmann G., Tscherny M. (2010): Selbstsorge für Lehrer/innen und

Breema®-Prinzipien. In: Michaelis D., Bachmann G. (Hrsg.) Lebenslanges Lernen – freudvoll und integral. Stuttgart: Ibidem Verlag, 2010: 33–84.

Schreiber J., Berezonsky D. (2003): Selbst-Breema Übungen für ein harmonisches Leben, München: Richard Pflaum Verlag, 2003.
(erhältlich über Pari Schneider, Bühl. E-mail: paribreema@t-online.de)

Schreiber J. (2008): Breema und die neun Prinzipien der Harmonie. Oakland: Breema Center Publishing.

Reddemann L. (2003): Einige Überlegungen zu Psychohygiene und Burnout-Prophylaxe von TraumatherapeutInnen. Erfahrungen und Hypothesen. ZPPM 2003; 1(1): 79–85.

Reddemann L. (2012): Imagination als heilsame Kraft. 16. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta, 2012: 92–96.

 

English Translation:

Breema Bodywork

Mindfulness and Presence in Touch

Pari Schneider & Klaus Pfeiffer

"I have the impression that a stream of touches and movements flows over me, flows through me. I wonder that hands can feel like water. As his hands come to rest on my belly, the center of my body, I suddenly feel my pulse. Energy and warmth have spread everywhere." (a participant)

At the beginning of this article, we would like to invite you to a short exercise. Sit upright in a comfortable position and place your hands on your thighs. Your elbows are relaxed. Be aware of your breath and also your weight, as it is supported by the floor and the chair. Then, with your right hand and full participation, gently yet firmly brush three times from your left shoulder over your upper arm, forearm, hand, and out over your fingers. Now repeat the brush with your left hand on the other side of your body and feel the effect of the exercise afterward.

Keywords: Breema, bodywork, mindfulness, presence, touch

What does this have to do with Breema bodywork?

First, there is simplicity. Breema exercises are an invitation to move from our intellectual perception of the world, from naming, comparing, and judging, into experiencing our bodily presence here. During the exercises, the mind is given the task of simply registering how one's own body breathes, how its weight feels, its posture, its movement. Through this, "thinking is integrated into the bodily experience and intensifies the present experience of my being-as-I-am. This ability of (self-)distancing in the sense of a dis-identification from thoughts, ideas, and concepts creates freedom and openness for myself as a bodily being. I am more than my thoughts and concepts" [Angermayr 2009, p. 102]. Even if the intended orientation of the mind is repeatedly interrupted, be it through drifting away, through objections, through judgments, I can simply register this, pause, and return to the awareness of my breath and my weight - and then continue with the exercise with full participation and without hurry.

Breema bodywork consists of numerous individual and partner exercises that give practitioners the security of a clear form. The exercises include elements such as stretching, leaning, stroking, holding, as well as playful, rhythmic movements that are performed with the whole body and without force. Practicing Breema is done in comfortable clothing on a soft surface while lying, sitting, or standing. In all exercises, the quality of touch is of utmost importance. A touch that is gentle yet firm in quality, that pursues no (therapeutic) goal, that does not want to effect, achieve, or do something for the other. A touch that accepts what is directly experienced. In such an expectation-free encounter, a beneficial appreciation for each other is experienced.

"As soon as I connect with the weight and breath of my body, I experience my presence. Through this, I have the possibility to accept what I see. This is also transferred to my exercise partner. (...) Giving and receiving take place simultaneously. This goal, to experience myself in my own presence while I am in exchange with the other, is a rich source of experience." [Gray 2007]

In partner exercises, which are predominantly performed in pairs, there is always alternately an active giver and a recipient who is moved or touched. For the giver, the receiving partner is a support for their own presence. The fact that you are here is completely sufficient for me to experience myself through you - in every moment and at every point of contact. This emphasis on the practitioner creates space for a genuine encounter. When there is presence in the contact, the distinction between giver and receiver dissolves, creating an atmosphere of simplicity, as if we were coming together to the smallest, yet all-encompassing, common denominator: That life has been given to us! 'body touches body' changes to 'life touches life.' The encounter becomes a play of life, a dance that springs from our innermost source, our essential connectedness. We leave it to the 'wisdom of the body' to take what it needs from the encounter.

"From the day of our birth on this earth, there is in us humans the deep basic need for a self-evident and unquestionable acceptance and being loved. In the love that we originally bring into this world, there is still no judgment, description, or naming. In it, there is no 'I love you AS you are,' but rather: 'I love you BECAUSE you are. I had this experience in my first encounter with Breema bodywork. My being here in this body was sufficient for the re-experience of self-understanding, and being held" (Pari Schneider).

To support one's own presence, the Breema practitioner uses the following nine attitudes ['principles'; Schreiber & Berezonsky 2003; Schreiber 2008], which have already been referenced in italics in the preceding text, and which are formulated briefly below:

  • The Body is Comfortable
    (Real comfort comes from an inner attitude that is in harmony with our timeless nature).
  • No Extra
    (To express our true being, our existence, nothing additional is necessary).
  • Firmness and Gentleness
    (True firmness is always gentle, true gentleness is always firm. When we are present, we naturally manifest firmness and gentleness simultaneously).
  • Full Participation
    (The most natural way to move and live is with full participation. Full participation is possible when body, mind, and feelings unite in a common activity).
  • Mutual Support
    (The more our being, our existence, participates, the more we are able to support life and recognize that existence supports us. Giving and receiving support happens simultaneously).
  • No Judgment
    (In the atmosphere of 'no judgment,' we can accept ourselves as we are in the moment. When we come into the present, we are free from judgment).
  • Single Moment – Single Activity
    (Each moment is new, fresh, completely alive. Each moment is an expression of our true nature, complete in itself).
  • No Hurry – No Pause
    (In the natural rhythm of life energy, there is no hurry and no interruption).
  • No Force
    (When we let go of the concept of being separate, we also let go of effort).

These nine attitudes or principles are like nine gates leading to being present. Their orientation points from diversity to unity and from complexity to simplicity. The principles are applicable and supportive not only in a Breema exchange but also in all other activities in life. They thus become a great resource for self-care in everyday life.

Breema bodywork is appropriate for people of all age groups and in addition to individual sessions is offered in open and target group-specific courses, e.g., for psycho-hygiene and burnout prophylaxis for nurses, teachers, psychotherapists, or also accompanying psychotherapeutic interventions [Fink 2009; Michaelis & Bachmann 2010; Reddemann 2003, 2012].

Finally, a short story: A little boy went goat herding with his grandfather for a few days. For their provisions, they took water, flour, butter, eggs, honey, and so on. In the evening, the old man made a fire and roasted his flatbread on a stone, and then spread butter and honey on it. He said to his grandson, "You see, this is the flour made from the grain for which we work daily. Here is the butter from the cows and the honey from the bees, and now I sprinkle a little salt on the flatbread. It comes from far away; it is very valuable." Then he rolled up the flatbread, ate it, and asked the little one, "Well, how did it taste to you?" The boy answered, "What do you mean? You didn't give me any of it!" To which the grandfather said, “But I told you everything important about it." – So it is ultimately with this article. We experience the taste of life, which Breema can remind us of, only when we taste life itself, and not just think about it.